Rainer Geulen hat für die Bombodrom-Gegner den Sieg erstritten – bundesweit ist er gefürchtet
BERLIN – Was Joschka Fischer für die 68er in der Politik war, ist er vor den Gerichten der Bundesrepublik. Für die Gegner des Bombodroms hat Rainer Geulen 27 Siege gegen die Bundeswehr erstritten. Ein Besuch in seiner Kanzlei in Berlin
Die Gegend gehört zu den nobleren Berlins, vor der Haustür steht Geulens Wagen, ein Jaguar mit dem Aufkleber der „Freien Heide“. Die Kanzlei: Hohe Decken, übergroße Bücherregale, Gemälde an den Wänden, bestens erhaltener Altbau – in gepflegtem Ambiente brütet der 65-Jährige über Schriftsätzen und Verwaltungsverfügungen, bis er den einen unheilbaren juristischen Fehler findet. In den Ecken liegen unzählige Ordner, der Schreibtisch ist übersät mit Papieren. Auch ein Aschenbecher steht dort. Geulen nennt sich selbst zwar Nichtraucher, doch zwei Zigarren am Tag im Büro dürfen es schon sein.
Es ist ein denkwürdiger Ort, ein Stück Geschichte der Bundesrepublik wurde hier geschrieben. Um den Weg der 68er Generation durch die Instanzen geht es, um Bürgerrechte, um linke und grüne Politik – angekommen in der politischen Mitte. Und es geht um Verwaltungs-recht, selbst unter Juristen ein ödes Wort. Dabei sind es immer Menschen, die sich gegen konkrete Vorhaben wehren.
Geulen, der Bürokratenschreck, hat mit seinen Klagen unzählige Juristen in den Amtsstuben geärgert, auch im Verteidigungsministerium. Beim Bombodrom hat er es geschafft, die „gigantische Rechthabemaschinerie“ der Bundeswehr zu stoppen. Begonnen hatte alles im August 1992. Der damalige Referatsleiter für Konversion in der Potsdamer Staatskanzlei, Roland Vogt, musste die schlechte Botschaft überbringen: Erst wollte die Bundeswehr den Übungsplatz nicht übernehmen, ruderte dann aber zurück. Über dem Bombodrom sollten wie zu DDR-Zeiten Tiefflieger Krieg üben. Zuständig dafür war Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), zu dieser Zeit Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Für die Menschen rund um die Ruppiner Heide ein Schlag, auch gegen das Vermächtnis der friedlichen Revolution. Jedenfalls hatte Roland Vogt, der Konversions-Experte, einen Rat für die Gegner des Schießplatzes: Gründet eine Bürger-initiative. Ostprignitz-Ruppins Landrat, Christian Gilde (SPD), sagte er: „Nehmt Euch einen guten Anwalt“ – nämlich Rainer Geulen. Vogt kannte ihn vom Jura-Studium an der Freien Universität Berlin, später war ihm Geulen aufgefallen, weil er in den 1980er Jahren ein Kohlekraftwerke im Spandauer Forst verhindert hatte. Er „sei einer der fähigsten Anwälte in Vertretung von Bürgerinitiativen, die sich gegen umweltschädliche und unsinnige Projekte einsetzen“, sagt Vogt. „Mit einer magischen Fähigkeit“ verhinderte Geulen fehlerhafte Projekte.
„Wir haben damals in einer traurigen Kneipe gesessen, ich glaube in Fretzdorf war das. Es gab nicht mal Bier“, erzählt Geulen. „Die hatten noch ihr Stalin-Bombodrom im Hinterkopf und glauben, man kann da gar nichts machen.“ Geulen aber konnte. „Seitdem haben wir vor Gericht immer gewonnen.“ Zuletzt war das Ende März vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg der Fall. „Freie Heide“-Sprecher Benedikt Schirge meint: „Seine Prognosen haben immer zugetroffen. Die Urteile wurden immer eindeutiger.“ Von Anfang sei sich dieser „klasse Anwalt“ sicher gewesen, dass das Bombodrom rechtlich nicht zu machen sei.
Es ist eine unglaubliche Karriere die Geulen hingelegt hat. Sein Vater war CDU-naher Unternehmer, den gebürtiger Aachener zog es da in den 1960er Jahren nach Berlin. Beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund, dem Motor der 68er Proteste, machte er mit. Während viele Kollegen maoistische Sekten gründeten oder ins Abseits gerieten, studierte er Jura. „Ich habe damals als erster in Berlin 1972 Berufsverbot bekommen. Ich durfte nicht Referendar werden.“
Schließlich wurde Geulen 1975 in den Räumen seiner heutigen Kanzlei Sozius und Motor der Berliner Kanzlei von Otto Schily, dem Mitbegründer der Grünen und späteren SPD-Bundesinnenminister. „Ich war damals der Typ Einser-Jurist, also für einen Linken sehr ungewöhnlich.“ Er verteidigte die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, verhinderte eine Schnellstraße in Berlin-Schöneberg und sorgte für die kurvenreiche Autobahn in Tegel Richtung Hamburg – zum Schutz des Tegeler Forstes. Manche nennen Geulen „Robin Hood der Bürgerinitiativen“. „Die politische Motivation ist bei mir sehr stark, man kann das nicht als links bezeichnen“, sagt Geulen, ein erklärter Atomkraft-gegner. „Die ersten Umweltverfahren habe ich gemacht, da gab noch keine Grünen. Das sind immer Sachen, mit denen ich mich identifizieren kann, Sachen, bei denen es keinen Kompromiss gibt.“
Die Verfahren wurden immer größer. Kernkraftwerke und Atommülldeponien ließ er schließen, vertrat verstrahlte Radartechniker der Bundeswehr, half Hinterbliebenen und Opfern der Bahnkatastrophe von Eschede. Derzeit steht er der Stadt Offenbach gegen die Flughafenerweiterung in Frankfurt/Main zur Seite, ebenso der Stadt Berlin für den Flughafen BBI. Auch geplante Kohlekraftwerke wie am Greifswalder Bodden will er verhindern. Verwundert waren alte Wegbegleiter, als Geulen nun Potsdamer Villenbesitzer am Griebnitzsee erfolgreich vertrat, die den Uferweg auf ihren Grundstücken dicht gemacht hatten. Hier war der Reiz größer, als politisch korrekt gegen „die Reichen“ zu sein. Denn die Stadt Potsdam weigert sich, den Besitz an jüdische Erben zurückzugeben, deren Verwandte 1933 von den Nazis vertrieben worden waren. „Das trifft mein antifaschistisches Engagement total“, so Geulen. Und wie beim Bombodrom gilt: „Es geht immer um alles oder nichts.“
Von Alexander Fröhlich, Potsdamer Neueste Nachrichten vom 15. Juli 2009