Anwalt Reiner Geulen bringt den Staat vor Gericht ins Wanken – jetzt besiegte er die Bundeswehr
Das wesentliche Arbeitsprinzip Reiner Geulens ist schnell beschrieben. Er brütet einfach so lange über Akten, Schriftsätzen und Verwaltungsverfügungen, bis er den unheilbaren juristischen Fehler entdeckt hat, der die Argumentation der Gegenseite zum Einsturz bringt. Diesen Fehler gibt es immer, und Geulen findet ihn. Niemand weiß, wie viele beamtete Juristen ihn deshalb schon zur Hölle gewünscht haben; seit es ihm nun endgültig gelungen ist, die gigantische Rechthabemaschinerie der Bundeswehr in Sachen Bombodrom zu stoppen, werden es wieder ein paar mehr sein.
Keine schlechte Zeit für den 66-jährigen Verwaltungsrechtsexperten. Es ist gerade einmal 14 Tage her, dass er zusammen mit seinem Sozius Remo Klinger in Potsdam triumphiert hat – und das für seine Verhältnisse geradezu undezent lautstark. „Ideologische Verblendung“ hielt er der Stadt Potsdam vor, deren Bebauungsplan für das Ufer am Griebnitzsee soeben vor dem Oberverwaltungsgericht durch sein Wirken zu Staub zerfallen war.
Mancher alte Weggefährte wird sich in diesem Moment die Augen gerieben haben: Geulen, der ehemalige SDS- Funktionär, Motor der legendären ökogrünlinken Berliner Kanzlei Schily/Becker/Geulen – nun im Dienste privilegierter Potsdamer Villenbesitzer? Doch es ist wohl so, dass ihn Rechtslücken im Verwaltungshandeln im Zweifel mehr reizen als die ideologisch korrekt begründete Position. Das war schon so, als der gebürtige Aachener, Sohn eines CDU-nahen Unternehmers, in Berlin nach Perspektiven suchte. Während viele SDS-Kommilitonen maoistische Sekten gründeten oder in andere Sackgassen abdrifteten, wechselte er von Philosophie zu Jura und versenkte sich im Kleingedruckten.
Otto Schily war ähnlich gestrickt – 1975 wurde Geulen sein Sozius und entwickelte sich zum Robin Hood der Bürgerinitiativen. Westtangente, Kraftwerk Oberhavel, unzählige andere Verwaltungsstreitigkeiten, Geulen machte das, Hase und Igel in Personalunion. Obwohl er nie Mitglied einer Partei war, ist sein Anteil am Aufstieg der Alternativen Liste in Berlin wohl kaum hoch genug einzuschätzen, denn er setzte oft vor Gericht um, was die werdenden Grünen draußen auf die Tagesordnung brachten.
Dann wurden die Verfahren allmählich größer, oft zu Sammelklagen. Er ließ Kernkraftwerke und Atommülldeponien schließen, half dem damaligen Umweltminister Joschka Fischer gegen die Hanauer Brennelementefabrik, vertrat Radartechniker der Bundeswehr, die im Dienst verstrahlt worden waren, und die Hinterbliebenen und Opfer der Bahnkatastrophe von Eschede. Aktuell berät er die Stadt Offenbach gegen die Flughafenerweiterung in Frankfurt und die Stadt Berlin für den Flughafen BBI, kämpft gegen mehrere Kohlekraftwerke und die Erhöhung der Biersteuer – und hat natürlich auch Umweltverbände beim Streit um die Dresdener Waldschlösschenbrücke vertreten. Da allerdings scheint es, als habe er die Erfolgsspur ausnahmsweise verlassen. Bernd Matthies
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 11.07.2009)